Die Traditionelle Europäische Naturheilkunde (TEN) bezeichnet ein eigenständiges, rational nachvollzieh- und lehrbares Medizinsystem, das die traditionellen Wurzeln der Heilkunde mit ‚modernen‘ Erkenntnissen und Denkmodellen verknüpft. Geprägt haben die TEN bis heute Persönlichkeiten wie Hippokrates, Hildegard von Bingen, Paracelsus oder in neuerer Zeit Sebastian Kneipp, Heinrich Schüssler, Rudolf Steiner, Maximilian Bircher-Benner oder Pfarrer Künzle.
Als ganzheitliches Medizinsystem mit einer Vielzahl von diagnostischen und therapeutischen Interaktionen unterstützt TEN die Wiederherstellung des inneren und äusseren Gleichgewichts des Menschen und aktiviert dessen Selbstheilungskräfte.
Die TEN hat nicht nur eine eigene Terminologie, sondern auch ihre spezifische Funktions- (Physiologie), Fehlfunktions- (Pathophysiologie) und Krankheitslehre (Pathologie). Auf diesen Lehren baut die TEN-spezifische Diagnostik auf, die wiederum Basis der Therapiekonzepte ist. So unterscheidet sich die diagnostische Fragestellung und der Begriff ‚Diagnose‘ erheblich von der schulmedizinischen Definition.
In der TEN werden die Organe als Werkzeuge zur Realisierung von Lebensfunktionen verstanden. Krankheitssymptome sind somit Merkmale für Störungen in der Funktionalität. Hier setzt die Diagnostik der TEN an und untersucht die Hintergründe dieser Störungen, während das therapeutische Ziel darin besteht, die Funktionalität und ihre Anpassung an wechselnde Bedingungen zu optimieren.
Die TEN sieht den menschlichen Organismus als ‚offenes System‘, das in ständiger Wechselbeziehung zu seiner Umwelt steht, dessen untrennbarer Teil er ist. Daher wird Krankheit nicht als lokalisiertes, temporäres Ereignis betrachtet, sondern betrifft stets den gesamten Organismus, sowohl auf physischer als auch seelisch-geistiger Ebene.
Vier-Säfte-Lehre (Humoralmedizin)
Die Vier-Säfte-Lehre ist ein definierendes Kernelement der TEN. Entsprechend der Naturlehre, in der die Elemente der Gesamtnatur (Makrokosmos) auch im menschlichen Organismus (Mikrokosmos) repräsentiert sind, ist die Humorallehre eine logische Weiterführung der Elementenlehre. Die vier Elemente werden in Form der Kardinalsäfte abgebildet, von denen jedes wiederum definierte Qualitäten besitzt:
- Sanguis (Blut) – warm und feucht
- Phlegma (Schleim) – kalt und feucht
- Chole (Gelbe Galle) – warm und trocken
- Melanchole (Schwarze Galle) – kalt und trocken
Für das Verständnis und die Arbeit mit der Humoralmedizin ist es von elementarer Bedeutung, dass man die Kardinalsäfte nicht als Körperflüssigkeiten versteht, d. h., man wird sie nirgendwo im Körper in materieller Form finden. Die Kardinalsäfte sind Wirkprinzipien. Jeder Mensch besteht aus allen Säften, aber aus der qualitativen Dominanz eines der vier Kardinalsäfte resultiert das Temperament, was in den heute noch üblichen Bezeichnungen erkennbar wird: Sanguiniker, Phlegmatiker, Choleriker, Melancholiker. Befinden sich diese Säfte in der individuell richtigen Mischung (Eukrasie), ist der Mensch gesund.